Reinhard Mey - Die Eisenbahnballade Lyrics

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Ein dichter Nebel senkte sich auf die große,
fremde Stadt.Ein langer Arbeitstag lag hinter mir,
ich war abgespannt und matt.
Zu müde für die Autobahn,
zu spät für den letzten Flug.
Doch ich wollte nach Haus,
Und da fand ich heraus,Gegen Mitternacht ging noch
ein Zug.Es blieb noch etwas Zeit,
ich wußte nicht wohin,
so stand ich am Bahnhof herum:Einem Prunkbau aus längst
vergangener Zeit, Drängeln,
Suchen und Schieben ringsum.
Ich sah die Reisenden, die Wartenden und die Gestrandeten
der Nacht,So viel Gleichgültigkeit,
So viel Jammer und LeidUnter so viel kalter Pracht.
Ich trat auf den offenen Bahnsteig hinaus,
die naßkalte Luft hielt mich wach.
Ich fröstelte, schlug meinen Kragen hoch und sah
meinem Atem nach.Aus der Dunkelheit schwebten überm
Gleis drei Lichter, mein Zug fuhr ein.
Eine Wagentür schlug.
Es war warm in dem Zug,Und ich war im Abteil ganz allein.Lautlos
fuhren wir an, und die Lichter der Stadt versanken
in milchigem Brei.Und immer schneller flogen erleuchtete
Fenster und Vorstadtbahnhöfe vorbei.
Noch ein Bahnübergang,
ein paar Scheinwerfer und die Welt da draußen
verschwand.Mein Abteillicht fiel in weißAuf den
Schotter am Gleis,Und ich ahnte das dunkle Land.
Und durch die Dunkelheit drangDer monotone KlangDer
Räder auf dem Schienenstrang,
Ein einsamer Gesang,Den stählernen Weg entlang.Vorn
an der Trasse standen sie,
die Haut wettergegerbt.Mit ihren Spaten hatten sie
Adern ins Land gekerbt,Mit Hacken und mit Hämmern
hatten sie Berge bewegtUnd Schwellen über Schotter
und darauf Schienen gelegt.
In bittrem Frost, sengender Glut,
in Regen, Tag für Tag,
Nachts einen Strohsack auf dem Boden im Bretterverschlag.Und
wieder auf beim Morgengrau'n für jämmerlichen
LohnUnd noch ein neues Vermögen mehr für
den Stahlbaron.Und bald fauchte das Dampfroß
funkensprühend durch das Land.
Manch neue Industrie und manch Imperium entstand,
Manch unschätzbarer Reichtum,
doch an jedem Meter Gleis,
Jeder Brücke, jedem Tunnel klebten Tränen,
Blut und Schweiß.Die Eisenbahn trug Fortschritt,
technische RevolutionIn jedem Winkel,
bis in die entlegenste Station.
Trug Güter von den Seehäfen bis an den Alpenrand,Verband
Menschen und Städte und trug Wohlstand in das
Land.Doch der großen Erfindung hattet stets die
Tragik an,Daß sie dem Frieden,
aber auch dem Kriege dienen kann.
Endlose Rüstungszüge rollten bald schon Tag
und Nacht:Kriegsgerät und Kanonen war'n die vordringliche
Fracht.Schon drängte sich auf Bahnhöfen siegesgewiß
das Heer,Den Jubel auf den Lippen und mit Blumen am
Gewehr,In fahnen- und siegesparol'n behangene WaggonsNach
Lemberg oder Lüttich,
nach Krakau oder Mons.Im Trommelfeuer von Verdun erstarb
der Siegeswahn,Aus Zügen wurden Lazaretts,
und diesmal sah die BahnDen Rückzug der Geschlagenen
und - den Kriegsherren zum HohnIm Waggon im Wald von
Compiégne, die Kapitulation.
Millionen Tote auf den Schlachtfeldern,
sinnloses Leid.Wer heimkehrte,
fand Elend, Not und Arbeitslosigkeit.
Doch auf dem Boden des Zusammenbruchs gediehen schonDie
Schieber und die Kriegsgewinnler,
die Spekulation.Aber es sproß auch aus den Wirr'n
verstrickter PolitikDer zarte,
schutzbedürft'ge Halm der ersten Republik.
Doch Kleingeist, Dummheit und Gewalt zertrampelten
ihn gleichMit Nagelstiefeln auf dem Weg ins Tausendjähr'ge
Reich.Die Unmenschen regierten,
und die Welt sah zu und schwieg.
Und wieder hieß es: "Räder müssen rollen
für den Sieg!"Und es begann das dunkelste Kapitel
der Nation,Das dunkelste des Flügelrades: Die
Deportation.In Gütewaggons eingeschlossen,
eingepfercht wie Vieh,Verhungert und verzweifelt,
nackt und frierend standen sie,
Hilflose Frau'n und Manner,
Greise und Kinder sogar,Auf der bittren Reise,
deren Ziel das Todeslager war.
Dann aber brach der Zorn der Gedemütigten herein,Kein
Dorf blieb da verschont, da blieb kein Stein auf einem
Stein,Und Bomben fielen, bis das ganze Land in Flammen
stand,Die Städte ausradiert war'n und der Erdboden
verbrannt.Der Krieg war mörderischer als jemals
ein Krieg zuvor,Und schwer gestraft das Volk,
das ihn frevelnd heraufbeschwor.
In Trümmern und Ruinen strichen sie hungernd umher,Die
Überlebenden, die Ausgebombten,
nichts ging mehr.Und immer längere Flüchtlingstrecks
kamen Tag für TagUnd Irrten durch ein Land,
das unter Schutt und Asche lag.
Der Überlebenswille zwang sie, nicht zu resignier'n,Die Aussichtslosigkeit, das Unmögliche zu probier'n:Noch aufzuspringen, wenn irgendwo ein Hamsterzug ging,Wenn an den Waggontür'n schon eine Menschentraube hing.Ein Platz auf einem Puffer, einem Trittbrett bestenfallsMit Hoffnung auf ein bißchen Mehl, Kartoffeln oder Schmalz.Was auf dem Bahndamm lag, wurde von Kindern aufgeklaubt,Und manch ehrlicher Mann hat manchen Kohlenzug beraubt.Und dann kamen die Züge mit den Heimkehrern besetzt,Verwundet und zerschunden, abgerissen, abgewetzt.Wie viele Dramen spielten sich auf den Bahnsteigen ab!Suchen und Freudentränen, wo's ein Wiedersehen gab,Warten, Hoffen und Fragen, wird er diesmal dabei sein?Viele kamen vergebens, und viele gingen allein.Zerschoss'ne Loks und Wagen wurden recht und schlecht geflicktUnd auf ein abenteuerliches Schienennetz geschickt.Und der Puls begann zu schlagen, und aus dem Nichts entstand,Mit Hoffnungen und Träumen beladen, ein neues Land.Und durch das Morgengrau'n drangDer monotone KlangDer Räder auf dem Schienenstrang,Ein schwermütiger Gesang,Den stählernen Weg entlang.Das Rattern der Räder über eine Weiche rief mich in die Gegenwart.Übernächtigt war ich aufgewacht, ich war fast arn Ziel meiner Fahrt.Ich rieb mir die Augen und rekelte mich, das Neonlicht schien fahl,Und im leeren RaumZwischen Wachen und TraumSah ich sie noch einmal:Der Adler, der Fliegende Hamburger, die Preußische P 8,Und die sagenumwobene 05 feuchten vor mir durch die Nacht.Ein Gegenzug auf dem Nachbargleis riß mich aus den Träumen heraus.Ein Blick auf die Uhr,Zehn Minuten nur,Und zum Frühstück wär' ich zu Haus.Draußen konnt' ich für Augenblicke in erleuchtete Fenster sehn.Sah die Menschen auf dem Weg zur Arbeit auf den Vorstadtbahnhöfen steh'n,Sah die Scheinwerfer der Autos vor den Schranken am Bahnübergang,Und eine Hoffnung lagÜber dem neuen TagUnd in dem Sonnenaufgang.

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